Ilija – Ein Tuch mit zwei Gesichtern

Der serbische Maler Ilija Bašičević (1895–1972) gilt als einer der bekanntesten autodidaktischen Künstler. Er wurde wie Maria Prymachenko (Ukraine) oder Niko Pirosmani (Georgien) der Naiven Kunst zugeordnet. Einmal mehr entlarvt sich diese als romantisierte Kategorie. Im Alter von 61 Jahren beginnt er zu malen und erlangt in den 1960er-und 70er-Jahren unter dem Pseudonym Ilija Bosilj schnell internationale Berühmtheit. Erstaunlich ist sein Ausstellungsdebüt in der Schweiz: Schon früh bezieht die Galerie Hilt in Basel 1962 Ilija Bašičević in die Gruppenausstellung Primitive Malerei ein, gefolgt von einer Einzelausstellung 1969. Jean Dubuffet nimmt 1963 sieben Gemälde in seine Sammlung der Art Brut auf. Unter dem Titel Ilija – Ein Tuch mit zwei Gesichtern zeigt das open art museum jetzt die erste institutionelle Einzelausstellung in der Schweiz. Die Gastkuratoren Otto Bonnen und Michael Zimmermann von der Kunsthalle Zürich nähern sich dem Klassiker mit frischem Blick.

Ihr Ansatz ist, nicht den Maler als Phänomen zu erklären, sondern sich auf sein Werk zu konzentrieren. So ist die Ausstellung nicht als Retrospektive zu verstehen. Vielmehr möchten die Kuratoren die vielseitige Uneindeutigkeit seines Schaffens und seiner individuellen Philosophie beleuchten. Die Ausstellung ist eine Begegnung mit Ilija Bašičević rätselhaften Werk und seinen wundersamen Bildwelten. Sie zeigen biblische Geschichten und wiederholt Szenen aus der Apokalypse, Episoden aus Mythen und Geschichten, geflügelte Wesen und Kosmonauten sowie höchst eigenwillige Bilder von einem idyllischen Paralleluniversum namens Ilijada. Daneben stehen viele Tierbilder. Die Kuratoren verfolgen eine Re-Vision des Malers aus der neugierigen Perspektive der zeitgenössischen Kunst und ermöglichen uns, Ilija Bašičević vielseitiges Schaffen neu zu entdecken und eigene Beobachtungen zu machen.

Ilija (Bosilj) Bašičević (1895–1972)

Geboren wurde Ilija Bašičević 1895 in Šid, einer kleinen ländlichen Ortschaft direkt an der heutigen serbisch-kroatischen Grenze. Ilija, der schon früh den Bauernhof der Eltern übernommen hatte und zusammen mit seinen beiden Söhnen während des Zweiten Weltkriegs zeitweise in Wien Schutz vor der Verfolgung durch die faschistischen Besatzungsmächte suchte, erlebte in seiner Heimatstadt Šid zuerst den Wechsel von einem zum anderen Königreich und schliesslich die Schaffung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Nachdem er sich geweigert hatte, seinen Hof in die neu geschaffenen landwirtschaftlichen Kooperativen zu integrieren, stellte er seine Arbeit als Bauer ein und begann im Alter von 61 Jahren zu malen. Über die tiefere Motivation hinter seiner Zuwendung zur Kunst gegen Ende seines Lebens kann nur spekuliert werden. In seiner Familie stand Ilija mit dieser Affinität jedoch nicht alleine da. Einer seiner zwei Söhne, Dimitrije, der in Wien und Zagreb Kunstgeschichte studiert hatte und unter dem Pseudonym „Mangelos“ auch als Künstler arbeitete, war bereits Anfang der 1950er-Jahre in die Gründung einer Kunstgalerie in Zagreb involviert, aus der später die Gallery of Primitive Art und schliesslich das Museum für Naive Kunst hervorgehen sollte.
Dass Ilijas Kunst ins Licht der Öffentlichkeit gelangte, verdankt sich auch Dimitrije/Mangelos’ prominenter Stellung in der jugoslawischen Kunstszene. So organisierte dieser 1963, nachdem er Ilijas neuer Passion anfänglich kritisch gegenüber gestanden hatte, eine erste Einzelausstellung mit Ilijas Werken an der Universität Belgrad. Weitere Ausstellungen und die Teilnahme an internationalen Gruppenausstellungen bereits ab 1962 machten Ilija bald zu einem bekannten Künstler. Mangelos’ Rolle als Förderer seines Vaters weckte in Teilen des jugoslawischen Kunstestablishments aber auch Zweifel über die Authentizität der Malereien: Wie konnte ein einfacher Bauer, der nie künstlerische Bildung genossen hatte, zu derartigen idiosynkratischen Darstellungsformen finden? Welchen Einfluss übte der Sohn dabei auf seinen Vater aus? Der Vorwurf wurde sogar laut, Ilija hätte seine Bilder gar nicht selbst gemalt, sondern Mangelos. Schliesslich musste Ilija 1965 in Zagreb vor einem versammelten Expert*innenkommitee den Authentizitätsbeweis erbringen, indem er vor ihren Augen malte. Über das Verhältnis von Ilija und Mangelos existieren aufschlussreiche Texte, von denen einige in den in der Ausstellung aufliegenden Publikationen konsultiert werden können.

In den folgenden Jahren wuchsen Ilijas OEuvre und seine Bekanntheit kontinuierlich an. 1971, ein Jahr vor seinem Tod, ehrte ihn seine Heimatstadt Šid mit einem eigenen Museum für Naive Kunst, “Ilijanum”, das einen grossen Teil der insgesamt über 2’000 von ihm gemalten Werke bewahrt.

Ilija und die Schweiz

Ilijas Werk fand erstaunlich früh den Weg zum Publikum in der Schweiz. Bereits 1962 erkannte die Galerie Hilt in Basel die Einzigartigkeit seines Werks und nahm ihn in die Gruppenausstellung Primitive Malerei auf, gefolgt von einer Einzelausstellung 1969. Auch Jean Dubuffet war früh für Ilijas Werke begeistert und integrierte 1963 sieben Gemälde in seine Sammlung, die heute zur Collection de l’Art Brut in Lausanne gehören. Die Münchner Galeristin und Sammlerin Charlotte Zander widmete ihm 1988 eine Einzelschau an der Art Basel, in der sie seine Werke aus der ‘goldenen Periode’ präsentierte. Abgesehen von diesen Präsentationen waren Ilijas Werke in der Schweiz nur in Gruppenausstellungen vertreten, darunter 1969 im Museo Civico di Belle Arti in Lugano, 1975 im Kunsthaus Zürich, 1988 im Kunstmuseum Thurgau und 2004 in der Manoir de la Ville de Martigny. Angesichts dieser frühen Präsenz in der Schweiz ist es bemerkenswert, dass bislang kein Schweizer Museum Ilija eine Einzelausstellung gewidmet hat. Diese Lücke schliesst nun das open art museum, das 2024–2025 die erste umfassende Museumsausstellung dieses bedeutenden Künstlers in der Schweiz präsentiert.

Die Kuratoren

Otto Bonnen (*1993 in Berlin) ist seit 2021 Kurator an der Kunsthalle Zürich. Er studierte Kunstgeschichte und Bildtheorie in Berlin und Basel und graduierte mit einer Arbeit zur Geschichte und Kritik des Begriffs der Outsider Art. Zuletzt realisierte er an der Kunsthalle Zürich die ersten Einzelausstellungen von Maggie Lee (2024) und Elene Chantladze (2023–2024). Er organisiert das Programm Backrooms an der Kunsthalle Zürich, das sich konzentrierten Ausstellungsformaten widmet, und schreibt für das Online-Magazin Brand-New-Life.

Michael Zimmermann (*1988 in Basel) ist Registrar in der Kunsthalle Zürich und Assistent im Ausstellungs- und Archivbereich in der Fotostiftung Schweiz in Winterthur. Er hat Kunstgeschichte in Zürich studiert. Neben der Organisation von eigenen Ausstellungsprojekten, zuletzt hat er eine Ausstellung über japanische Fotobücher konzipiert und umgesetzt, nimmt er als Künstler auch selbst an Ausstellungen teil.

 

Weitere Infos: https://openartmuseum.ch/ausstellung/ilija-ein-tuch-mit-zwei-gesichtern/

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