Wie können limitierte Ressourcen und individualisierte Bedürfnisse von Kunden unter einen Hut gebracht werden? Die Stadtbibliothek Chur zeigt, wie das geht. Als erste Bibliothek in der Schweiz setzt sie erfolgreich auf das Konzept Open Library und öffnet ihre Türen auch ausserhalb bedienter Öffnungszeiten.
Morgens um sechs Uhr ein Buch ausleihen, abends in der Bibliothek arbeiten oder am Sonntag gemütlich in Zeitschriften schmökern. Die Stadtbibliothek zeigt wie so etwas ohne zusätzliche Personalressourcen, ohne Nacht- und Sonntagsarbeit geht. Seit November 2018 ist sie auch dann geöffnet, wenn die Bibliotheksmitarbeitenden noch frühstücken oder längst wieder zuhause sind. Mit der Open Library hat die Stadtbibliothek Chur ihre Öffnungszeiten verdoppeln können.
Von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr abends sowie an Sonntagen haben Kundinnen und Kunden der Stadtbibliothek Chur heute selbstständig Zutritt. Bedient ist die Bibliothek jeweils montags bis samstags von 10 Uhr bis 19 Uhr, am Samstag bis 16 Uhr.
Bedürfnisse der Kunden im Blick
„Es braucht schon etwas Mut“, berichtet Julia Wäger, Leiterin der Stadtbibliothek Chur, „denn es gibt in der Schweiz keine Erfahrungswerte zur Open Library“. Wird ein solches Angebot überhaupt geschätzt? Gehen Kundinnen und Kunden sorgfältig mit Material und Ausstattung um? Auf viele Fragen hat es bislang keine Antworten gegeben.
Dienstleistungen haben sich in den vergangenen Jahren stark auf individualisierte Kundenbedürfnisse ausgerichtet. Onlineshops, verlängerte Öffnungszeiten oder E-Banking machen deutlich, dass viele Angebote dann genutzt werden, wenn man Zeit und Lust hat. „Der Schritt vom Bücherhort zur modernen Dienstleisterin an der Schnittstelle von Kultur und Bildung ist für Bibliotheken Herausforderung und Chance zugleich. Innovative Konzepte wie das der Open Library sind in diesem Kontext essentiell. Wir müssen veränderten Lebensbedingungen und Kundenbedürfnissen Rechnung tragen und diese konzeptuell integrieren“, führt Julia Wäger aus.
Vielfältige Nutzung
In den ersten zwei Monaten sind bereits über 1‘000 Open Library-Eintritte registriert worden und ständig werden es mehr. Über die Feiertage herrschte Hochbetrieb – ohne Personal. Überraschend vielfältig sind die Motive der Nutzerinnen und Nutzer. Besonders beliebt ist der Sonntag bei Familien. Sie beschaffen sich in aller Ruhe neue Medien und geben gebrauchte zurück. Abends sind die Arbeitsnischen durch Studierende gut besetzt. Andere wiederum nutzen die Bibliothek zum Überbrücken der Zeit zwischen Arbeitsende und Aktivitäten am Abend. Zu den „Early Birds“ gehören Rentner genauso wie eine Frauengruppe, die sich zum gemeinsamen Lesen in einer Fremdsprache trifft. Die Stadtbibliothek Chur wird mit der Open Library ein Dritter Ort für die Bevölkerung – einen Ort der Begegnung, des Austausches und des Lernens. Die flexible Öffnung und Nutzung der Bibliothek, räumlich als auch zeitlich, ist in diesem Kontext natürlich ein entscheidender Faktor.
Technische Lösung als Voraussetzung
Der Zutritt zur Stadtbibliothek Chur in den unbedienten Zeiten ist einfach. Mit einem persönlichen Code erhalten Nutzerinnen und Nutzer ab 16 Jahren mit ihrer gültigen Bibliothekskarte Zutritt. Über eine spezielle Software werden die Betriebszeiten des Einlasspanels gesteuert und die Eintritte protokolliert. Überwachungskameras sorgen für Sicherheit. Elektronische Ausleihe- und Rückgabestationen erlauben die selbstständige Bedienung durch die Kundinnen und Kunden. Um 22 Uhr stellt ein Sicherheitsdienst sicher, dass alle Kunden das Gebäude verlassen.